Blick auf die Uhr: Wie lange hat Benitez bei Real noch?
Der Coach ist in Madrid unter Druck geraten, sein Stuhl wackelt. Dennoch sollte Perez vorerst an ihm festhalten - auch mit Blick auf die Königsklasse.
KOMMENTAR
Von Ben Hayward
Rafa Benitez hebt die Arme in die Luft und lässt sich von den Fans feiern. Wir schreiben den 28. Mai 2016 und Real Madrid hat soeben die Champions League gewonnen. Der elfte Europapokaltitel ist ein beachtlicher Triumph, vor allem einer, mit dem noch im November nach der Demütigung im Clasico gegen den FC Barcelona niemand gerechnet hatte.
Das eben aufgeführte Szenario erscheint zum jetzigen Zeitpunkt nicht nur äußerst unwahrscheinlich, sondern auch ziemlich weit hergeholt. Die Nachwirkungen der 0:4-Niederlage gegen den größten Rivalen sind für Real noch deutlich spürbar, und nachdem Präsident Florentino Perez sich selbst am Montag von aller Schuld freigesprochen hat, scheint der Stuhl von Benitez gehörig zu wackeln.
Aber Perez hat seinem Trainer auch Zeit versprochen, und die sollte er ihm nun auch geben - auch wenn er momentan ohnehin nicht viele Alternativen hat. Perez hatte am Montag gegenüber den Medien erklärt, dass er optimistisch sei, Benitez könne das Ruder rumreißen.
"Rafa hat unsere Unterstützung und unser Vertrauen", sagte der Präsident. "Er ist erst kurze Zeit hier und wir sind sicher, er wird die Probleme lösen. Er braucht Zeit."
Benitez braucht Ergebnisse
Wie viel er davon bekommt, steht in den Sternen. Der 55-Jährige braucht dringend die entsprechenden Ergebnisse, wenn er er die kommenden Wochen und Monate überstehen will.
Benitez selbst sagte am Dienstag zum Clasico-Debakel: "Wir haben mit den Spielern gesprochen und die Fehler analysiert. Auch meine. Die Mannschaft hat viel Qualität, ist professionell, und was wir tun müssen, ist, dies zu kanalisieren, um unsere Ziele zu erreichen."
Und er ergänzte: "Wir haben November und alle unsere Ziele sind noch in Reichweite. Wir werden versuchen, sie zu erreichen."
In der Primera Division stehen die Königlichen bereits sechs Punkte hinter Barca. Eigentlich sind es eher sieben Zähler, da in LaLiga der direkte Vergleich vor dem Torverhältnis zählt - und ein 0:4 im Camp Nou aufzuholen, erscheint unmöglich. Daher gilt die Aufmerksamkeit nun der Königsklasse - für Benitez die wohl einzige Hoffnung auf Rettung.
Erfolge im Europapokal
Der bislang denkwürdigste Moment in der Karriere des Spaniers war der legendäre Champions-League-Titel mit dem FC Liverpool. Während seiner ersten Saison bei den Reds drehte das Team im Endspiel gegen den AC Mailand einen 0:3-Rückstand und gewann im Elfmeterschießen.
Zudem gewann Benitez 2004 mit dem FC Valencia den UEFA-Cup und 2013 mit dem FC Chelsea die Europa League. Liverpool führte er 2007 erneut ins Champions-League-Finale.
Vielleicht kommt ihm im Kampf um seinen Job die Erfahrung in den europäischen Wettbewerben zugute - zumindest vorerst. Zudem könnte eine jetzige Entlassung von Benitez als Schuldeingeständnis von Perez verstanden werden, der aufgrund seiner Entscheidung, sich von Carlo Ancelotti zu trennen, noch immer kritisiert wird. Nach der Clasico-Klatsche wedelten die Real-Anhänger mit weißen Taschentüchern, um gegen den Präsidenten zu protestieren - setzt er nun Benitez vor die Tür, würde das seinen Kritikern weiter Auftrieb geben.
So oder so wäre es viel zu früh für einen Trainerwechsel, vor allem, wenn man bedenkt, dass Real bis Anfang des Monats noch ungeschlagen war und bislang nur zwei der 16 Pflichtspiele verloren hat.
Erinnerungen an die Vor-Saison
Ebenfalls sollte man nicht vergessen, dass Real im letzten Jahr zu dieser Zeit gerade eine 22 Spiele andauernde Siegesserie hingelegt hatte, ehe man zum Jahresabschluss die Klub-WM gewann - es war die vierte Trophäe im Jahr 2014. Bei Barca hingegen war seinerzeit Coach Luis Enrique in der Schusslinie und schien vor dem Aus zu stehen.
All das änderte sich schnell und dramatisch nach dem Jahreswechsel, als Barca ins Rollen kam und Real in die Krise schlitterte. Und auch diesmal ist eine Wende nicht ausgeschlossen.
Keine Frage, auf Benitez wartet eine Menge Arbeit. Aber dafür benötigt er die Zeit, die Perez ihm versprochen hat. Nur dann kann er beweisen, dass er der Richtige für Real ist. Seine Fähigkeit, Teams auf K.o.-Spiele vorzubereiten, könnte mit Blick auf die Champions League ein entscheidender Faktor werden.
Wenn also die Situation in den kommenden Monaten nicht allzu dramatisch werden sollte, ist es ratsam, vorerst an Benitez festzuhalten. Und wer weiß? Vielleicht kann er am Ende die Leute so überraschen, wie es Luis Enrique im Jahr 2015 tat.
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