Trotz 0:1-Niederlage: HSV-Team wirkt gefestigt
Ein Spiel gegen die Hamburger ist kein Spaziergang mehr. Unter Bruno Labbadia haben die Rothosen zu defensiver Stabilität gefunden - und sich damit wieder Respekt verschafft.
KOLUMNE
Von Daniel Jovanov
Liebe Leser,
es ist noch gar nicht so lange her, als der Hamburger SV beinahe täglich kleinere oder größere Aufreger produzierte. Mal war es die Erhöhung der Dauerkartenpreise, dann eine selbst angezettelte Diskussion um Stadion-Uhr und Dino-Maskottchen, die viele besorgte Mütter junger Fans dazu veranlasste, beim HSV Sturm zu klingeln, und schließlich die Rucksack-Affäre um Peter Knäbel, die bundesweit für Gelächter gesorgt hat. Das sind nur einige von unzähligen Beispielen, die deutlich machen sollen, an wie vielen Fronten der Verein in den vergangenen Wochen kämpfen musste. Aber ein paar gute Ergebnisse können schon reichen, um die Schlagzeilen in eine komplett andere Richtung zu lenken.
Selbst aus einer Niederlage lässt sich in diesen Tagen viel Positives ziehen. Der HSV zeigte beim 0:1 gegen den FC Schalke 04, dass er gegen ein Top-Team der Liga nicht mehr völlig unterlegen ist. Während das Ergebnis im letzten Jahr gegen eine solche Mannschaft wohl eindeutiger ausgefallen wäre, überzeugt die Defensive der Rothosen in dieser Saison durch Stabilität. Die Mannschaft fällt nach Rückschlägen nicht mehr auseinander, sondern hält weiter diszipliniert zusammen. Verglichen mit dem, was der HSV beim Saisonstart in Jena ablieferte, sind durchaus deutliche Unterschiede zu erkennen.
Im Volkspark ist Ruhe eingekehrt
Aber ist die die Formulierung, der HSV könne mithalten, überhaupt die richtige? Gemessen an der Offensivleistung sieht es nicht danach aus. Wer sich in einer Halbzeit keine einzige (!) Torchance erspielen kann, ist von den Top-Teams weit entfernt. Gemeint ist damit eher, dass es gegen den HSV kein Spaziergang mehr ist. Und vor der neuen Gefahr nach Standards wird sich jeder Gegner in Acht nehmen müssen. Distanzschüsse, Eckbälle und Freistöße sind derzeit mehr oder weniger die einzigen offensiven Mittel, mit denen der HSV konstant Gefahr ausstrahlen kann. Aber es ist legitim, auf diese Weise Punkt für Punkt zu sammeln, um einen psychologisch wichtigen Abstand zum unteren Tabellendrittel aufzubauen. Labbadia und seiner Mannschaft ist es gelungen, sich den Respekt der Gegner zurück zu erkämpfen.
Von höheren Zielen braucht in Hamburg allerdings niemand sprechen. Es ist nicht einmal besonders witzig geschweige denn originell, nach zwei, drei guten Ergebnissen die Frage nach Europa zu stellen. Die positive Grundstimmung ändert auch nichts daran, dass Labbadia gegen die Königsblauen einige vielleicht sogar spielentscheidende Fehler begangen hat. Zum Beispiel mit der breit und ausführlich diskutierten Verschiebung Aaron Hunts vom Zentrum auf die Außenbahnen. Oder der Herausnahme von Ivo Ilicevic und Nicolai Müller sowie dem Festhalten an Matthias Ostrzolek und Lewis Holtby. Bei Letzterem beschleicht mich der Eindruck, dass der 25-Jährige spielen "muss", selbst wenn dies grundlegende Verschiebungen in der Startelf zur Folge hat.
Zu viele Wechsel gegen Schalke
Auch bei Ostrzolek muss die Frage erlaubt sein, wie viele Chancen der ehemalige Augsburger noch bekommen wird. Oder anders gefragt: Wie schwach muss Neuzugang Gotoku Sakai sich eigentlich präsentieren, um seinen Konkurrenten nicht verdrängen zu können? Die Außenbahnen sind die für mich eindeutigsten Schwachstellen im Spiel des HSV - defensiv wie offensiv. Wobei Dennis Diekmeier auf der rechten Seite im Vergleich zu seinem Pendant auf der linken noch den besseren Eindruck hinterlässt. Neben Sakai stünden aber noch zwei weitere Kandidaten zur Verfügung: Ronny Marcos und Ashton Götz
Als Ex-HSV-Coach Joe Zinnbauer in der vergangenen Saison mit der Hereinnahme der beiden auf der Beliebtheitsskala mehrere Stufen nach oben sprang und viele Fans darin einen Beweis sahen, dass in Hamburg nun auf Talente gesetzt wird, habe ich befürchtet, dass es sich dabei nur darum dreht, ein "Zeichen" an die Etablierten zu setzen. Zudem hatte man sich leicht ein Alibi verschafft, denn den jungen Spielern werden Fehler eher verziehen als den teuren "Stars". Nachhaltig aufgebaut und gefördert wurde jedoch keiner, ein ähnliches Schicksal dürfte nun Gideon Jung ereilen. Die Förderung junger Talente bleibt vorerst ein frommer Wunsch. Fakt ist: Der Altersschnitt der Startelf liegt in der Regel bei 28 Jahren.
Rucksackaffäre: Polizei muss nachermitteln
Noch nicht so alt ist die eingangs erwähnte Rucksackaffäre um Peter Knäbel, die zwar vorerst in Vergessenheit geraten ist, dadurch aber nicht an Brisanz verloren hat. Der Stand der Dinge ist folgender: Nachdem die Ermittlungsakte von der Polizei an die Staatsanwaltschaft übergeben wurde, liegt sie nun wieder bei der Polizei. Diese wird in den nächsten Tagen und Wochen weitere Zeugen vernehmen. Die bisherigen Ergebnisse reichen der Staatsanwaltschaft offenbar noch nicht, damit der Anfangsverdacht gegen die Finderin, die verdächtigt wird, die Dokumente gestohlen zu haben, bestätigt werden kann. Der Rucksack ist übrigens trotz unterschiedlich lautender Meldungen dazu bislang nicht wieder aufgetaucht.
Nach allem, was ich bisher zu diesem Thema in Erfahrung bringen konnte, sieht es nicht danach aus, als ob Frau D. eine Strafanzeige wegen Diebstahls droht. Undurchschaubar bleibt weiterhin, warum Peter Knäbel, der seine Daten normalerweise auf mehreren Handys, Tablets und Laptops in digitaler Fassung aufbewahren soll, mit einem Rucksack voller auf Papier gedruckter Dokumente durch die Gegend lief. Mehr dazu werden wir in den kommenden Wochen erfahren. Das Thema wird nicht einfach abzuschütteln sein. Den sportlichen Bereich tangiert es aktuell glücklicherweise überhaupt nicht. Der kann durch weitere Punkte in der Tabelle aber dafür sorgen, dass andere Dinge im Vordergrund stehen.
Schalke stoppt den Höhenflug des HSV
Bruno Labbadia muss sich zum ersten Mal nach seiner Rückkehr zum HSV im eigenen Stadion geschlagen geben - weil sein Team erst zu spät Druck aufbauen konnte. Die Analyse.
Aus dem Volksparkstadion berichtet Daniel Jovanov
Der Hamburger SV hat nach drei Spielen ohne Gegentor am 7. Spieltag der Bundesliga mit 0:1 (0:0) gegen den FC Schalke 04 verloren. Die Gäste aus Gelsenkirchen stoppen damit den Höhenflug der Rothosen.
Vor 53.192 Zuschauern im Volksparkstadion erzielte Leroy Sane das Tor des Tages. In einer Partie, die erst gegen Ende des Spiels richtig Fahrt aufnahm, gelang es den Gastgebern zu spät, Druck vor dem Schalker Tor aufzubauen.
Der Spielfilm:
Vor dem Anpfiff: HSV-Coach Bruno Labbadia muss gegen den FC Schalke 04 auf Gojko Kacar im defensiven Mittelfeld verzichten. Für den Serben rückte Marcelo Diaz in die Startelf. Ebenfalls zurück: Neuzugang Albin Ekdal. Auf den Außenbahnen beginnt der HSV mit Aaron Hunt und Michael Gregoritsch für Ivo Ilicevic und Nicolai Müller.
Schalkes Trainer Andre Breitenreiter nahm gegenüber dem 2:0-Sieg gegen Eintracht Frankfurt unter der Woche ebenfalls Änderungen vor. Franco di Santo begann im Sturmzentrum, Dennis Aogo verteidigte links für Sead Kolasinac und Junior Caicara rechts für Sascha Riether.
2.: Erste Chance für die Gäste! Geis bringt einen Eckball in die Mitte, der zum zweiten Pfosten abgefälscht wird. Dort steht di Santo und köpft in Richtung Tor. HSV-Keeper Drobny lenkt den Ball an die Querlatte.
5.: Höger muss schon nach kurzer Zeit verletzungsbedingt ausgewechselt werden. Für ihn kommt Sane ins Spiel, der ins rechte offensive Mittelfeld geht. Goretzka rückt dafür auf die Höger-Position ins defensive Mittelfeld.
25.: Schalke erhöht den Druck. Sane legt auf Caicara ab, der den Ball gefährlich in den Strafraum flanken kann. Dort kommt Choupo-Moting heran gerauscht und nimmt ihn direkt. Der Ball kommt aber zentral auf Drobny, der zur Ecke klären kann.
35.: Fast das 0:1! Nach einem verunglückten Klärungsversuch von Ostrzolek kommt die Kugel direkt zu Sane. Der Youngster zieht mit Tempo in die Mitte, fasst sich ein Herz und zieht mit links aus über 20 Metern ab. Wieder ist Drobny zur Stelle und lenkt den Ball zur Ecke. Klasse Tat von beiden!
53.: Erste Chance für den HSV? Ekdal chippt den Ball auf Holtby, dessen Direktabnahme das Ziel nur knapp verfehlt. Offensiv ist von den Hamburgern bislang kaum etwas zu sehen.
54.: Das gibt es auch nicht so oft: Schiedsrichter Dr. Jochen Drees muss vom Feld, für ihn übernimmt der vierte Offizielle Marco Fritz. Drees kann verletzungsbedingt nicht weiter machen.
60., 0:1 Sane: Nach Sahnepass von Goretzka in die Schnittstelle der Verteidigung taucht Sane frei vor Drobny auf, umkurvt ihn und schiebt zur verdienten Führung ein. Vorausgegangen war ein missglückter Abschlag des HSV-Keepers. Diaz versuchte zwar noch Goretzka umzureißen - es gelang dem Chilenen aber nicht.
74.: Vom Spielverlauf her muss es längst 0:2 stehen. Geis bringt einen Freistoß von der rechten Seite in den Strafraum, wo Goretzka am höchsten steigt und die Kugel mit jeder Menge Wucht erwischt. Zentimeter fehlen dem Vorlagengeber zum 0:1, um seinen Tag mit einem eigenen Treffer zu krönen.
81.: Normalerweise sitzt der. Stürmer Lasogga war nach einem Eckstoß aber so überrascht, dass er freistehend aus fünf Metern zum Kopfball kommt, dass er nicht richtig hingeht. Das hätte der Ausgleich sein müssen!
92.: Es wird noch einmal richtig hitzig im Volksparkstadion! Nach einem Diaz-Freistoß kommt Djourou angerauscht und berührt den Ball. Fährmann schafft es im Verbund mit seinen Kollegen irgendwie, den Ball am Tor vorbei zu lenken.
Fazit: Der FC Schalke geht verdient als Sieger vom Platz. Spielerisch waren die Schalker ihren Kontrahenten über weite Strecken der Partie überlegen. Erst gegen Ende gelang es dem HSV, Druck vor dem Tor von S04-Torwart Ralf Fährmann aufzubauen.
Star des Spiels: Leroy Sane. Der Youngster hat wieder einen Sahnetag erwischt. Der 19-Jährige erzielte nicht nur das wichtige Führungstor für seine Mannschaft, sondern beschäftigte de HSV-Defensive über die gesamte Spielzeit. Sane war bei seinen Tempovorstößen nur schwer zu stoppen.
Flop des Spiels: Nach seinem Siegtreffer gegen den FC Ingolstadt hatte Michael Gregoritsch zu Hause gegen Schalke einen gebrauchten Tag. Er verdaddelte eine gute Kontergelegenheit in der ersten Halbzeit und konnte sonst kaum Akzente setzen.
Schiedsrichter: Sowohl Dr. Jochen Drees als auch Marco Fritz hatten über weite Strecken des Spiels kaum etwas zu tun und leiteten die Partie souverän. Erst gegen Ende des Spiels, als der HSV auf den Ausgleich drängte, wurde es ein wenig hitziger. Fritz ließ sich von der Unruhe allerdings nicht anstecke
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