Jeden Dienstag neu im BR-Sport im Netz: unser Fußballexperte Thomas Hitzlsperger. In Folge zwei geht's um den ganz alltäglichen Transferwahnsinn: Millionen, Last-Minute-Wechsel - und warum Pep Guardiola lieber auf Coman als auf Höjbjerg setzt.
Wenn man die letzten Tage verfolgt hat: Ist es übertrieben zu sagen, das war die intensivste Transferperiode aller Zeiten?
Sowohl die Aktivitäten als auch die Summen haben in diesem Transfersommer eine neue Dimension erreicht. Das habe ich in dieser Form noch nicht erlebt. Der Auslöser ist natürlich die Premier League, wo die Vereine über eine Milliarde Euro ausgegeben haben. Was dort veranstaltet wird, ist schwindelerregend. Die Krönung war der Transfer von Kevin De Bruyne vom VfL Wolfsburg zu Manchester City. Er ist ein ausgezeichneter Spieler, aber die Ablösesumme in Höhe von rund 75 Millionen Euro ist des Guten zu viel.
Nicht nur De Bruyne zieht's in die Premier League. Mit Schweinsteiger und Baba hat die Bundesliga zwei prominente Spieler bayerischer Klubs an die englische Liga verloren. Du hast selbst dort gespielt: Warum will jeder auf die Insel, was ist das Besondere? Ist es nur das Geld?
Spielte selbst viele Jahre in England: BR-Fußballexperte Thomas Hitzlsperger
Man konnte in den letzten Wochen den Eindruck gewinnen, dass es nur noch um das Geld geht, aber ich kann sagen, dass die Premier League nach wie vor die intensivste und womöglich spannendste Topliga Europas ist. Das Geld mag verlockend sein, aber es gibt noch genügend andere gute Gründe, um in die Premier League zu wechseln. Darüber wurde aber lange nicht mehr gesprochen.
Aber wenn man zu einem Topklub ins Ausland wechselt, will man doch auch Titel gewinnen. International waren die englischen Klubs in den vergangenen Jahren aber alles andere als erfolgreich.
International haben die Premier-League-Vereine in den vergangenen zwei Jahren sehr enttäuscht, aber die Premier League ist begehrter denn je. Deutsche Klubs und vor allem spanische waren in den letzten Jahren innovativer und haben das Spiel weiterentwickelt. Den Engländern hat das viele Geld womöglich den Kopf verdreht und die Konzentration vom Wesentlichen gelenkt.
Es gibt zahleiche mahnende Stimmen. Felix Magath beklagt die fehlende finanzielle Konkurrenzfähigkeit der Bundesliga ohne Investoren durch die 50+1-Regel. Volkswagen-Chef Martin Winterkorn sagte nach dem De-Bruyne-Wechsel: "Man ist irgendwann machtlos gegen solche Summen. Selbst Bayern München, das interessiert war, hat am Ende des Tages gesagt: Gegen solche Summen können wir im Moment nicht antreten." Wird die Bundesliga gerade abgehängt?
Wenn man die Leistungen der deutschen Klubs sieht, besteht aktuell kein Grund zur Sorge. Aber man muss die Entwicklungen schon genau verfolgen und über Alternativen nachdenken. Der Fußball verändert sich so rasant, da muss man wachsam sein und in der Lage sein, zu reagieren.
Wolfsburg-Neuzugang Julian Draxler
Auch innerhalb der Bundesliga gab es einige spektakuläre Last-Minute-Transfers. Julian Draxler wechselte von Schalke, Dante von den Bayern nach Wolfsburg. Bauen dort Dieter Hecking und Klaus Allofs mit den De-Bruyne-Millionen den Bayernjäger der Zukunft?
Der VfL hat den Anspruch, auf Dauer in der Champions League zu spielen. Sie haben noch nicht das Format des FC Bayern, aber sie gehören zu den vier besten Mannschaften der Bundesliga und die Transfers von Dante und Draxler untermauern dies.
Welcher Transfer hat Dich am meisten überrascht?
Fedor Cernychs Wechsel von Gornik Leczna zu Jagiellonia Bialystok. Für 200.000 Euro. Den hatte wohl niemand so richtig auf dem Zettel ;-)
Gibt es bei den Transfers einige Geheimtipps: Spieler, die bisher noch nicht so im Fokus standen, bei ihrem neuen Verein aber schnell zu Leistungsträgern werden könnten? Der FC Ingolstadt hat sich beispielsweise in letzter Minute Junioren-Nationalspieler Maurice Multhaupt von Schalke 04 geschnappt.
Julian Weigl (noch) im Löwen-Trikot
Der wohl beste Transfer aus dieser Kategorie ist Julian Weigl. Noch vor wenigen Monaten spielte er um den Klassenerhalt in der 2. Liga mit den Löwen und nun ist er Stammspieler bei Borussia Dortmund, dem Tabellenführer der 1. Bundesliga. Er ist zwar kein Geheimtipp mehr, aber diese rasante Entwicklung konnte wohl kaum einer vorhersehen.
Einige Klubs, die auf dem Transfermarkt mehr verkauften als einkauften, erwischten prompt einen Fehlstart in die Saison. Mönchengladbach wirkt ohne Max Kruse und Christoph Kramer ideenlos und schwach im Sturm. Beim FC Augsburg sagte Trainer Markus Weinzierl am Wochenende, dass der Wechsel von Abdul Rahman Baba zum FC Chelsea doch nicht so leicht zu kompensieren sei. Kann man ohne Millioneninvestitionen in der Bundesliga überhaupt noch bestehen?
Man kann selbstverständlich mit vergleichbar geringem Budget den Klassenerhalt schaffen. Mönchengladbach und der FC Augsburg haben aber mittlerweile einen anderen Anspruch und sind öfters Favorit als Außenseiter. Es müssen neue Lösungen her. Heutzutage werden die Spielsysteme schnell durchschaut, da muss man mehrere Varianten parat haben. Außerdem müssen sie sich in der neuen Rolle erst zurechtfinden. Dass das dauern kann, war wohl beiden Teams bewusst und dürfte sie nicht allzu sehr aus der Ruhe bringen. Zumindest nicht nach dem 3. Spieltag.
Etwas irritiert kann man zum FC Bayern München schauen. Das eine Talent, der 20-jährige Pierre-Emile Höjbjerg, wird erneut verliehen. Dafür holt man sich mit Kingsley Coman einen 19-jährigen Mittelfeldspieler von Juventus Turin. Verstehst Du diese Logik?
Die Sachlage scheint ziemlich einfach: Pep Guardiola kennt Höjbjerg gut und ist nicht überzeugt, dass dieser die Qualität für seine Mannschaft hat. Coman dagegen traut er diesen Sprung zu.
Einige langjährige Bundesligaspieler werden wir in der neuen Saison nicht mehr sehen. Die Dortmunder Publikumslieblinge Kevin Großkreutz (zu Galatasaray Istanbul) und Jakub Blaszcykowski (zum AC Florenz) sind weg, Claudio Pizarro vom FC Bayern ist noch auf Vereinssuche. Die Transferperiode - keine Zeit für Fußballromantiker?
Die Romantik können wir uns nun endgültig abschminken. Wer Fußball-Romantik will, muss sich Spiele aus vergangenen Tagen anschauen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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